Gutachten zu Reuven Kritz, Denkanstöße. Israelische Miniessays. Deutsche Bearbeitung Muni Poppendiek, 1997.
Der israelische Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Reuven Kritz, geboren als Rudolf Kritz am 11. November 1928 in Wien und zur Zeit (1997) Gastprofessor an der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg, hat nach Auskunft von Muni Poppendiek, die seine Manuskripte betreut, in seinem Heimatland bereits 25 Bücher veröffentlicht, davon 14 Romane, die sich „mit dem Leben der israelischen Jugend im Kibbutz, an der Universität und im Ausland“ (Poppendiek) befassen. Die vorliegenden Texte seien einer Sammlung von 131 ähnlichen Beiträgen für den israelischen Rundfunk entnommen worden.
Der Titel dieser 40 Beiträge (die zwischen 1983 und 1986 gesendet wurden) ist Programm: Kritz versucht in unterhaltsamer Weise den Leser zum Nachdenken zu bewegen – ob nun über den Vor- und Nachteil jüdischen Leid-Gedenkens, das Wesen jüdischen Humors (der sich durch eine spezifische „Tendenz der Selbstdeheroisierung“ auszeichne) oder das richtige Verhältnis von Zweck und Mittel. Er schöpft dabei aus einem reichen Ankedoten- und Topoiwissen, das er aber nie mit dem Anspruch letzter Gültigkeit, sondern mit einem abwechselnd Heiterkeit, Nachdenklichkeit, Strenge oder Traurigkeit signalisierenden Augenzwinkern vermittelt. Es geht ihm freilich in erster Linie um Probleme und Fragen, die für den israelischen Leser von Interesse sein könnten. Aber anregend und auf andere Gefilde dieser Welt übertragbar sind seine Beiträge allemal. Die Offenheit der Form und die lose Reihung der Beiträge rechtfertigt den Untertitel „Miniessays“, allerdings sicherlich nicht im strengen Sinne, den Adorno an Benjamin festgemacht hat. Kritz Beiträge sind witzig und gelehrt, ohne essayistische Schwergewichte sein zu wollen, aber hier liegt auch eine der Schwächen dieses Buches: Das Nachdenken über manch „Menschliches, Allzumenschliches“ (Nietzsche) gleitet leider manchesmal in Allzugesprächiges ab. So endet der 37. Beitrag, der sich „An die Literaturkritiker“ richtet und der die unterlassenen Kollegen-Preisungen in der Geschichte der Literatur zitiert („Goethe lehnte Heine und Hoffmann ab […] Tolstoi fand Shakespeare lächerlich […] Tolstoi wurde als Kandidat für den Nobel-Preis abgelehnt“) mit dem eher bescheidenen Aufruf an die „verehrten[n] Kritiker [und] geschätzte[n] Kollegen“: „Da wir uns so leicht irren können, laßt uns lieber vorsichtiger und bescheidener irren!“ Vieles in diese Sammlung, trotz aller auch positiven Eigenschaften, mag mehr für den schnellen Gebrauch im Radio oder der Zeitung geeignet sein, als daß es dauerhafter zwischen zwei Buchdeckel gefügt gehörte.
Die Übersetzung ist gut lesbar, leider mit vielen Fehlern behaftet.
Insgesamt erscheint mir Kritz‘ Buch für eine hiesige Veröffentlichung nur bedingt geeignet. Vielleicht böte sich hingegen eine genauere Prüfung seines Romanwerks an.
Frankfurt am Main, am 13. Januar 1998
Oliver Wieters